Juni 1992 , die Grenzen nach
Osten sind durchlässiger geworden , ich konnte meinen ersten Besuch
nach Westpreußen wagen .
Besondere Vorbereitungen für diese
Reise konnten wir eigentlich nicht treffen . Geldumtausch in Deutschland
war nicht möglich , ein gültiger Reisepass genügte zur Einreise
. Die Unterkunft wollten wir vor Ort buchen .
Viel wichtiger war , sich über
die damals in Polen noch wenig vorhandenen Tankstellen mit bleifreiem Benzin
kundig zu machen .
Das Auto voll gepackt u.a. mit Kleidern
und " Naturalien " für die Familie meines polnischen Cousins und für
diverse Besuche machten wir uns auf den Weg .
Von Steinheim aus geht es über die
Autobahn Rtg. Nürnberg , durch die " neuen Bundesländer " an
Leipzig und Berlin vorbei bis kurz vor die polnische Grenze . Hier - in
dem kleinen Ort Penkun - trafen wir uns verabredungsgemäß mit
meinem norddeutschen Cousin , der vor einem Jahr schon einen Besuch
unserer gemeinsamen Heimat abgestattet hatte und somit als Reiseführer
fungieren konnte .
Mit gemischten Gefühlen aber problemlos
überquerten wir am nächsten Tag die deutsch / polnische Grenze
bei Stettin . Als erstes mussten wir polnisches Geld ( Slotty ) besorgen
. Kein Problem , wenn man dies an der offiziellen Bank direkt nach der
Grenze tut . Wehe dem , der sich auf einen der zahlreichen privaten Händler
einlässt . Wichtig ist auch , dass man das Auto nie alleine lässt
.
Auf
überraschend gut ausgebauten Straßen , teilweise durch wunderschöne
Baumalleen , legten wir den Rest der Strecke ohne Probleme zurück
. Nach über 1 200 km erreichten wir unser erstes Ziel , meine Geburtstadt
Elbing.
Die Quartiersuche war nicht sehr schwierig
, weil der Tourismus in Polen noch nicht " in den Gängen "
war . Allerdings sollte man keine deutschen Maßstäbe an die
Qualität der Hotels legen . Wir bevorzugten ein Hotel außerhalb
der Stadt . Hier hatten wir - gegen ein " Bakschisch " in harter deutscher
Währung - wenigstens einen durchweg bewachten Parkplatz .
Pro Nacht kostete das Doppelzimmer 550
000 Slotty , das sind umgerechnet 56 DM ( ca 28 Euro ) , je nach Umtauschkurs
. Das Frühstück wurde für jede Scheibe Brot , jede
Tasse Kaffee - bei der das Kaffeepulver direkt in die Tasse gegeben wurde
und dann das heiße Wasser - usw. separat abgerechnet .
Gut 50 Jahre nach meiner Geburt
genoss ich einen ersten Blick auf den Drausensee , unweit
von dem sich das großelterliche landwirtschaftliche Anwesen befand
.
Ein erhebendes Gefühl für mich
, aber auch für meine aus dem Schwabenland stammende Ehefrau .
Unser erster Besuch galt natürlich
unserem Cousin und seiner Familie . Das war gleichzeitig die erste Station
der umfangreichen Erkundung von Wohnorten meiner Verwandten . Dieser Cousin
sollte von nun an unser Wegbegleiter und Dolmetscher sein .
Mit Kartenmaterial und einem Buch -
in dem die ehemals deutschen Ortsnamen den polnischen gegenübergestellt
waren - ausgerüstet , konnte unser mehrtägiger Streifzug durch
die Heimat nun stattfinden .
Obwohl 80 % der im Jahr 1237 vom Deutschen
Orden gegründeten Hansestadt Elbing im Krieg zerstört wurde ,
blieb das Krankenhaus - meine Geburtsstätte - fast unversehrt .
Hierhin also hat man im Januar 1942
meine Mutter mit einem Pferdeschlitten bei eisiger Kälte und durch
tief verschneiter Landschaft aus unserem Wohnort Markushof
( ca 10 km ) gebracht . Und von hier aus wollte ich jetzt meinen " Erkundungsfeldzug
" starten .
In Elbing selbst fiel mir die ungeheure
Bautätigkeit als erstes auf . Neben Ruinen aus dem Krieg entstanden
hübsche mehrstöckige Wohnhäuser im Stil der 20 er Jahre
. Uralte Straßenbahnen kreuzten mitten in der Großstadt die
Wege von Pferdefuhrwerken . Neben vorwiegend einfachen Restaurants gab
es sogar schon ein Mehrsternehotel , welches erst vor kurzem eröffnet
wurde . Wir entdeckten sogar ein großes Kaufhaus , in dem man westliche
Waren - von Lebensmitteln bis zu elektrischen Haushaltsgeräten - allerdings
nur gegen " harte Währung " ( DM , Dollar ) kaufen konnte . Die Infrastruktur
in Elbing konnte sich durchaus schon sehen lassen . Auf dem flachen Land
aber lag die Versorgung - wie wir später noch feststellen sollten
- noch im Argen .
In der Folge besuchten wir alle möglichen
Wohnorte der Verwandtschaft . Diese lagen fast durchweg in einem Umkreis
von 10 bis 20 km in der Drausenniederung unmittelbar südlich
von Elbing .
Hier schien die Zeit stehen geblieben
zu sein . Diese in der Niederung als "Streusiedlungen " angelegten Dörfer
wurden im Krieg wenig zerstört . Die dort jetzt ansässigen Polen
konnten , wollten oder durften die Bauernhöfe meist nicht instand
halten ( Geld - Materialmangel etc. ) .
Dieses
dokumentierte mir eindrucksvoll mein Besuch des großelterlichen Bauernhofes
( väterlicherseits ) . Hier stand in der Küche noch derselbe
Herd , im Wohnzimmer der Kachelofen und das Klavier ; im Flur war noch
dasselbe mit einer Farbwalze aufgetragene Muster an den Wänden zu
erkennen , in den niedrigen Stallungen das sie tragende Gebälk mit
den Kerben der verschiedenen Hochwasserkatastrophen ( die letzte am 25.03.1888
, wo das Wasser bis fast unter die Decke reichte ) usw. usw .
Das Drumherum aber , das ließ zu
wünschen übrig . Angefangen beim Dach über die Außenfassade
bis zu den landwirtschaftlichen Geräten , hier nagte der Zahn der
Zeit deutlich sichtbar .
Trotzdem : diese Landschaft lässt
das Herz eines Naturfreundes höher schlagen . Hier hat der Geld -
und Materialmangel für die Erhaltung der ursprünglichen Natur
gesorgt . Hier kommen vor allem Ornithologen ( Vogelkundler ) auf ihre
Kosten .
Natürlich besuchten
wir auch die Kirchen und die Friedhöfe , sprachen dank unseres
Dolmetschers mit allen möglichen Leuten über die Begebenheiten
nach 1946 - dem Jahr unserer Vertreibung - oder Möglichkeiten zur
Ergänzung der Chronik . Resultat gleich Null . Die Friedhöfe
waren regelrecht zerstört , die Kirchen zum Teil zweckentfremdet .
Die Bevölkerung aber
, die war sehr aufgeschlossen und gastfreundlich . Wir waren nirgends angemeldet
und wurden trotzdem freundlich empfangen , obwohl wir die Gründe unseres
Besuches mitteilten . Die " Mitbringsel " ( Kaffee , Seife o.ä. )
taten ein übriges .
Ein Beispiel :
Ein Tagesausflug führte uns an das
nahegelegene Frische Haff . Hier besuchten wir den polnischen
Fischer Helmut , den mein Cousin bei seinem ersten Besuch kurz kennen gelernt
hatte .
Spontan lud er uns zu einem Fischessen
ein . In einem großen Waschkessel wurde die Fischsuppe zubereitet
. Hier kam alles - vom Kopf bis zum Schwanz - zerstückelt hinein .
Gewürze , dem Aussehen nach auch Streusalz , und Gemüse " verfeinerten
" die Suppe . Meiner Frau wurde es beim Zusehen fast schon übel .
Hätte es nicht auch noch in der Pfanne gebratenen Fisch gegeben ,
sie hätte wohl nichts gegessen . Zum Abspülen des Geschirrs wurde
einfach Wasser aus dem Hafenbecken genommen . Nach der " genossenen " Mahlzeit
wurde so manche Flasche Wodka getrunken , was nicht nur der Verdauung gut
tat . Die anschließende Bootsfahrt auf dem Frischen Haff haben auch
alle überlebt . Helmut konnte etwas deutsch , seine russischen
Gastarbeiter aber nicht .
Mit Essen und Trinken , möglichst
einem Fernglas und einem guten Fotoapparat ausgerüstet ,
sollte
man von Elbing aus eine Bootsfahrt besonderer Art - nämlich über
die Rollberge - unternehmen .
Bei dieser Tagesfahrt erlebt man die
ganze Herrlichkeit der westpreußischen Landschaft . Auf dem sehr
schmalen Elbingfluß geht es zunächst in den ca 12 km langen
Drausensee . Dieser - für jeden Wassersport gesperrte - flache See
ist schon immer ein weltweit bekanntes Vogel - und Pflanzenschutzgebiet
. Nur die Ausflugsboote dürfen hier fahren , der See wird auch nicht
abgefischt .
Man gleitet förmlich durch den
See , sieht und hört die vielen verschiedenen Vogelarten und erfreut
sich der zahlreichen Wasserpflanzen .
Kurz nach dem Drausensee fährt
das Schiff in einem kleinen See auf eine Lore , wird darauf festgezurrt
, um dann auf dieser Lore die erste von fünf geneigten Ebenen hochgezogen
zu werden . Während der Bergfahrt kann man abspringen , fotografieren
und rechtzeitig wieder auf das Schiff klettern . Vom Schiff aus bieten
sich dem Betrachter saftige Weiden mit schwarz - weiß gefleckten
Viehherden , mit Ackergäulen arbeitende Landwirte , denen ganze Scharen
von Störchen folgen und weitläufig angelegte alte Bauernhöfe
als Fotoobjekte an .
Neben der Marienburg
( dem größten Burgbau Europas ) und den hohen Dünen der
Kurischen Nehrung gehören die Rollberge zu den am meisten bestaunten
Sehenswürdigkeiten des deutschen Ostens .
Auf unserem Ausflugsprogramm standen
natürlich auch die Stadt Danzig , die Gedenkstätte des
Konzentrationslagers Stutthof , der von der kaiserlichen Familie
als Urlaubsort oft besuchte Badeort Kahlberg mit seinen weißen
Stränden , das Gut Cadinen mit seinem Gestüt usw usw .
Fazit meiner Reise :
Ein faszinierendes Land , welches
heute - 10 Jahre danach - zu Recht von immer mehr Touristen besucht wird
. Wir waren begeistert von der unberührten Natur .
Für die Chronik habe ich zwar
keine neuen Daten erhalten , aber die sonst nackten Tabellen haben jetzt
ein Gesicht bekommen .
Ein Jahr später - also 1993 -
habe ich meine Mutter und meinen ältesten Bruder überreden können
, mit mir diese Gegend - unsere Heimat - noch einmal zu besuchen .
Für meine Mutter ein unbeschreibliches
Erlebnis .
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