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Warum eigentlich "China" und "Japan" ?

China und Japan in Heidenheim, da verwischen sich Fakten und Legenden.
Fangen wir mit der WCM an, die Abkürzung für Württembergische Cattunmanufaktur. Cattun ist soviel wie Baumwolle, Manufaktur ist soviel wie Fabrik. Um 1900 herum arbeiteten locker 1200 Leute bei der WCM. Damals wurden Arbeiter noch nicht entlassen, sondern dringend gesucht, die Wirtschaft boomte und die Stadt platzte aus allen Nähten. Die WCM legte gleich mehrfach nach: Man bot eine Kinderkrippe und ein Badehaus (heute übrigens beides ein Puff) für die Arbeiter, und um die Jahrhundertwende begann man, der Belegschaft eine Siedlung zu bauen. Die entstand unterhalb des Schmittenberges jenseits des Brenzsees nicht weit von der WCM aber ziemlich weit vom damaligen Heidenheim weg - sozusagen im "Fernen Osten" der Stadt. Die WCM baute zuerst 49 Häuser. In dem neuen Stadtteil, der wie ein Dörfchen mitten auf dem Feld stand, wohnten immerhin 500 Leute.
Und während man in Heidenheim baute, blickte man nach China: Dort hauten sich ab 1900 deutsche Kolonialtruppen mit aufständischen Chinesen des Geheimbunds Yi-He-Tuan, was eigentlich "Gesellschaft für Recht und Eintracht" heißt, aber von irgendjemand als "Boxer für Recht und Eintracht" übersetzt wurde. Der ganze Aufstand hieß also "Boxeraufstand" und China war in aller Munde. Weil die Schmittenbergsiedlung der WCM im fernen Osten der Stadt stand, hieß sie irgendwann "China" - sagen die einen. Die anderen fügen noch an, dass die windschief aneinanderstehenden Häuslein mit ihren spitzen Giebeln den Leuten etwas chinesisch vorgekommen wären. Tatsächlich ist das Viertel an Schmittenbergstraße, Schüle- und Humboldtstraße bis heute ziemlich markant. - Und es darf sich eines berühmten Baumeisters rühmen: Gebaut wurden die hübschen Häuschen vom Stuttgarter Baurat Manz, der auch das heutige Kunstmuseum gebaut hat. Soweit so gut - aber richtig Leben in den Osten kam erst mit der zweiten Siedlung. Die wurde von der Gemeinnützigen Baugesellschaft (heute GBH) in die Wiesen gemauert - und das von der Stadt aus gesehen rechts hinter dem "China". Offiziell sollte das neue Viertel "Arbeiterkolonie Ostheim" heißen - aber natürlich, rechts hinter China liegt Japan.
Seither also kann man "im China" oder "im Japan" wohnen. Und das macht seit jeher einen enormen Unterschied. Vor allem die Kinder aus beiden Siedlungen hatten sich traditionell gerne am Wickel, die letzten ordentlichen Prügeleien sind noch aus den späten 50er-Jahren überliefert, als das "China" und "Japan" bereits komplett zur Oststadt zusammengewachsen waren.

Rätsel aus Heidenheim (Auszug aus einem Zeitungsartikel von Hendrik Rupp (Neue Woche) im Dezember 2003)

Christa Miola

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