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Philosophie - Kreis

Gedanken zur Jahreswende 2002 - 2003

von Günter Teichgraeber

Alle Neugebornen haben
Säug-lings-Hände, um zu greifen.
Darin ist beim Jesusknaben kein Unterschied.

Bis die Kinderhand bereit ist,
sich zu öffnen, um zu geben,
musst du warten, bis es Zeit ist,
ein ganzes Jahr.

Doch du kannst schon heut anfangen,
aus der Hand, die jenes Kind ist,
Zeit und Leben zu empfangen
Als Geschenk.

Jahr um Jahr darfst du nun üben,
Mensch, du Greif-ling von Geburt,
herzugeben und zu lieben,
Lieb-ling werden.

Zu Weihnachten 2002

 

Wie es leider ist:

Sprengsätze ersetzen Sprechsätze
In Bethlehem und anderswo.
Fäuste umklammern Steine,
Finger krümmen sich am Abzug
der Maschinen mit Kugeln und Raketen,
üben sich anzugreifen,
weil begreifen so schwer ist.
Eingreifen,
Kuweit vor 12, Kosovo vor vier Jahren,
Afghanistan seit einem Jahr,
Eingreifen ist schon veraltet,
Bush, Sohn des Vaters, greift vor.
Finger in US-Stützpunkten,
die auf Tastaturen üben,
Arme in Bagdad, die sich im Nahkampf üben,
diese Hände werden sich nicht begegnen.
Aber das sportliche Ereignis ist angekündigt.
Und im Publikum reiben viele sich die Hände
Vor Spannung,
wie der Unterhaltungskrieg ausgehen wird.

Wie es auch anders sein könnte:

Schorsch Double-You Lässt das Lasso fallen,
wird mit Kollegen auf Du und Du.
Seine Hand klopft im Palast von Bagdad an.
"Salem aleikum!"
"Kannst reinkum!"
Hände, die sich öffnen, einander entgegenstrecken.
In der einen: das Ende des Embargos
gegen das leidende Volk.
In der anderen: Erdölzugangsrechte in der Region.
Am Ende wird zu Protokoll gegeben:
Der von beiden so begehrte Titel
"Liebling des Volkes und der Weltgeschichte",
wahlweise auch Liebling Allahs,
oder Gottes, oder Vaters und Sohnes,
wird nur noch verliehen an Besitzer von Händen,
die von Hunger, Armut, Krieg und Krankheit helfen.
Was dasselbe bedeutet:
Das deutsche Wort Lieb-ling soll hinfort
– wie Greif-ling – aktivisch verstanden werden.
Sprechsätze ersetzen Sprengsätze.

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Webseite: Oskar Söhnle; 14.02.2003