Logo
Geschichte und Kultur des Reisens

Themenübersicht

Francis Bacon (1561-1626)

ÜBER DAS REISEN
 

Das Reisen dient in jüngeren Jahren der Erziehung, in reiferen der Erfahrung. Wer in ein Land reist, bevor er einigermaßen in dessen Sprache eingedrungen ist, sollte lieber zur Schule gehen, aber nicht auf Reisen. Daß junge Leute unter der Obhut eines Erziehers oder zuverlässigen Hofmeisters reisen, billige ich sehr, falls dieser der Fremdsprache mächtig und schon früher in jenem Lande gewesen ist, damit er darauf aufmerksam machen kann, was sehenswert in dem Lande ist, das sie bereisen, wessen Bekanntschaft man suchen soll und was für Zerstreuungen oder Belehrungen ein Ort darbietet. Andernfalls würden junge Leute wie vermummt umherlaufen und wenig zu sehen bekommen. Es ist seltsam, daß Leute auf Seereisen, wo sie nichts als Himmel und Wasser erblicken, Tagebücher fuhren, dagegen auf Landreisen, wo es viel zu beobachten gibt, es meistens unterlassen. Als ob Zufälligkeiten sich besser zum Aufzeichnen eigneten als sorgfältige Beobachtungen. Es empfiehlt sich also, ein Tagebuch anzulegen. Was man sehen und studieren soll, sind die Höfe der Fürsten, zumal wenn sie gerade Gesandte empfangen, die Gerichtshöfe, während Sitzungen abgehalten und Rechtsfälle verhandelt werden, im gleichen Fall Kirchenversammlungen, die Kirchen und Klöster nebst den darin enthaltenen Denkmälern, die Wälle und Befestigungen von Haupt- und andern Städten, desgleichen die Häfen und Buchten, alte Kunstwerke, Ruinen, Büchereien, Hochschulen, Streitgespräche und Vorlesungen, wo es deren gibt, Handels- und Kriegsflotten, Prachtbauten und Lustgärten in der Nähe großer Städte, Rüstkammern, Zeughäuser, Pulverkammern, Wechselbanken, Börsen, Reit-, Fecht- und Kriegsübungen und dergleichen mehr, ferner Schauspiele, doch nur solche, welche Leute von Stand zu besuchen pflegen, Schatzkammern für Juwelen und Staatsgewänder, Kunstkammern und Seltenheiten, eben alles, was sonst in den besuchten Orten Merkwürdiges vorhanden ist und wonach die Erzieher oder Hofmeister sich sorgfältig erkundigen sollten. Was Prachtaufzüge, Masken, Festlichkeiten, Hochzeiten, Begräbnisse, Hinrichtungen und ähnliche Schauspiele anbelangt, so soll man den Geschmack daran nicht unnötig wecken, sie jedoch nicht gänzlich außer acht lassen. Soll ein junger Mann übrigens trotz begrenzter Ausdehnung der Reise und beschränkter Zeit möglichst viel Nutzen aus ihr ziehen, so ist folgendes zu empfehlen: Zuerst muß er, wie gesagt, einigermaßen in die Fremdsprache eingedrungen sein, ehe er abreist, ferner muß ihm ein Hofmeister oder Erzieher beigegeben werden, der, wie ebenfalls bereits erwähnt, das fremde Land kennt. Auch möchte er tunlichst eine Karte oder ein Buch bei sich führen, in welchem das Land, das er bereist, beschrieben ist, was ihm als erwünschter Wegweiser dienen wird. Ebenfalls soll er ein Tagebuch führen. Er darf auch nicht lange an einem Ort oder in ein und derselben Stadt verweilen, freilich, je nachdem, der Ort es verdient, jedoch nicht lange. Ja, wenn er in der gleichen Stadt bleibt, so soll er sogar von einem Ende oder Viertel zum andern umziehen, der beste Weg, um neue Bekanntschaften zu machen. Er muß sich von der Gesellschaft seiner Landsleute fernhalten und an solchen Plätzen speisen, wo die gute Gesellschaft der Gastnation verkehrt. Bei seiner Übersiedelung in einen andern Ort muß er sich Empfehlungen an Personen von Stand verschaffen, die in dem Orte wohnen, wohin er zieht, um ihre Vermittlung zu genießen bei Besichtigungen und Erkundigungen. Auf diese Weise kann er seine Reise, ohne dabei zu verlieren, abkürzen. Hinsichtlich der Bekanntschaften, die er auf Reisen anknüpfen soll, so ist die nutzbringendste von allen die Verbindung mit den Gesandtschaftsbeamten und Angestellten, denn dadurch macht er, auch wenn er nur in dem einen Lande reist, sich noch mit manchem andern vertraut. Auch muß er jedwede hervorragende Persönlichkeit, die im Ausland einen großen Namen genießt, ansprechen und besuchen, um berichten zu können, wieweit seine Erscheinung der großen Berühmtheit entspricht. Händel sind am besten sorgsam und unauffällig zu umgehen, gewöhnlich drehen sie sich um Weiber, Saufereien, Vorrangstreitigkeiten und Geschwätz. Im Umgang mit jähzornigen und streitsüchtigen Menschen muß er besonders behutsam sein, denn sonst ziehen sie ihn in ihre eigenen Zwistigkeiten hinein. Kehrt ein Reisender wieder heim, so soll er die Verbindung mit den Ländern, welche er bereist hat, nicht gänzlich aufgeben, sondern mit den würdigsten seiner Bekannten einen brieflichen Verkehr aufrechterhalten. Auch muß seine Reise mehr in seiner Unterhaltung als in seinem Anzug oder äußeren Benehmen sich bemerkbar machen, wenn er sich darüber unterhält, beantworte er lieber sachkundig die an ihn gerichteten Fragen, als Abenteuer aufzutischen. Ebenso muß er zeigen, daß er seine heimatlichen Sitten nicht mit denen des Auslandes vertauscht, sondern bloß einiges von dem, was er in der Fremde gelernt, wie Blumen in die heimische Art eingeflochten hat.

Seitenanfang


Alle Informationen von: Dr.Hartman Leitner; Frühjahr/Sommer2000
Webseite: Oskar Söhnle; 27.04.2000